Herakles in Lydien

Herakles in Lydien

 

beruft sich auf eine Episode aus dem Heldenleben des Herakles, wie sie uns durch die griechische Mythologie über-mittelt worden ist. Inwieweit der Kern der Geschichte durch Überlieferung und Na-chautorenschaft „aus”gelegt oder ver-fälscht worden ist, muss hier ohne Belang bleiben. Wichtig erscheint für mich die leibhafte Wahrscheinlichkeit des Erzähl-ten, die mir motivische Nahrung für mein Lieblingsthema „Die Geschlechter” an-bietet.

 

Herakles, ein nicht nur in der antiken Welt hochverehrter Held der nützlichen Taten und Befreier von irdischen und überirdi-schen Plagen, die auf Königreichen und Bevölkerung lasteten, ist ein Held im menschlichen Format. Von den Göttern oder der Vorsehung mit übernatürlicher Wehr und Schlagkraft ausgestattet, stellt er den antiken Prototyp des gerechten, unbestechlichen, selbstbewussten und unbesiegbaren Streiters für Gerechtigkeit und göttliche Ordnung dar. Der psycho-physische Grundriss seiner Person als Ur-gestalt, begründet und beinhaltet soet-was wie einen universellen Bauplan für eine Ethik des gerechten Kriegers. Die ideologische Ökonomie seiner Taten und sogenannten Arbeiten stellt ihn beim ers-ten Hinsehen als einen souveränen, e-manzipierten und reflektierenden Mann vor, der genau weiß was er will. Er ist der antike Vorläufer des 007 Agenten, nur das seine Auftraggeber damals weniger im Verborgenen blieben, als die Hinter-männer eines James Bond.

Nun war Herakles neben seinen großen selbstbestimmten Freiräumen im weltli-chen Handeln letztendlich den irdischen Königen verpflichtet, und er war an der langen Leine der Rechtfertigung seiner Taten gegenüber den Göttern gehalten. Anarchische Anfälle, selbstgerechte oder von ihm im Wahn begangene Gräuelta-ten (natürlich von den Göttern mutwillig gesendet oder provoziert), wurden sofort von „Oben” bestraft und zwangen den ahnungslosen Helden zu Reue und De-mut gegenüber der göttlichen Fügung.

 

Seine Figur ist für mich, in gegenwartsbe-zogenem Sinne an der Stelle interessant, insofern sich eine transhistorische und zeitlose Frage an seiner Figur immer wie-der neu auflegen lässt. Die Frage nach der Gesinnungs- und Besinnungslosigkeit des Söldners.

 

Was bringt immer wieder junge Männer dazu, im System Männermachtweltbe-trieb, sich zu ferngesteuerten und hirn-gewaschenen Schergen ausbilden zu lassen, um für ein fremdes Begehren das eigene Leben zu gefährden und aufs Spiel zu setzen?

Wieso ist die männliche Spezies so anfäl-lig dafür, sich als Sündenböcke vor den Karren von Feindbildern spannen zu las-sen, die sich andere zur Verschleierung und Durchsetzung ihrer materiellen Gier haben einfallen lassen ?

Wieso, wenn es schon nur um die konser-vativ-objektivistischen Werte des männli-chen Wertebewusstseins gehen soll, sind Frauen, Reichtum, Macht und Überle-genheit ein Streitgut, das nur über Berge von Leichen und kaputtgeschlagener Kultur zu erhalten sein sollen ?

 

Beim Stichwort „Frauen”, knüpft die Epi-sode an, um die es mir in meinem Zyklus zu Herakles. geht.

Als Sühne für ein im Wahn begangenen Mord bestimmt ihn ein Orakelspruch für ein Jahr zum Sklavendienst unter Ompha-le, der Königin von Lydien.

„Neben den Freuden der Wollust und der Fortpflanzung mit Omphale und mit den in ihren Umkreis sich befindenden Frau-en, versinkt Herakles in seiner blinden Liebe und Hingabe gegenüber Omphale soweit, das er in weichen lydischen Wei-berkleidern zu ihren Füßen sitzend, Wolle spinnt. Sein Nacken trägt jetzt ein golde-nes Weiberhalsband; die nervigen Hel-denarme umspannen Armbänder, mit Juwelen besetzt; sein Haar quillt unge-schoren unter einer Mitra hervor; langes Frauengewand wallt über die Helden-glieder herab.”

Herakles wird bestraft mit einer Rolle, die ihn quasi seitenverkehrt widerspiegelt in einer Position, die aus der Perspektive des männlichen Weltverständnisses ei-gentlich nur dem Weibe zukommt: die Aufgabe der persönliche Identität, um zum willfährigen objektivierbaren Gut männlichen Willens zu werden.

Die Herrschaftsfrage in ihrer paternalisti-schen Kontinuität wird hier nur invers ver-kehrt und dazu benutzt, männliche Insu-bordinanz gegenüber den Göttern mit dem schlimmsten zu bestrafen was ei-nem Helden damals zustoßen konnte: Unter dem Fron und im Dienste eines weiblichen Willens, sich der Lächerlich-keit preisgeben zu müssen.

 

Die Demontage des martialischen Hel-den zum weibischen Weichei ist aus pa-ternalistischer Sicht natürlich die schlimmste Fatalität die einem männli-chen Helden zustoßen kann. Sie ist gleichzusetzen mit Entartung und Zerset-zung der Substanz männlichen Selbstver-ständnisses.

 

Jedoch liegt in dieser Geschichte der Keim einer subversiven Utopie der Figur des Herakles, sich von seiner eindimensi-onalen Determiniertheit als Waffengän-ger und Gewaltprotz zu befreien.

Würde es Herakles in einer anderen zu schreibenden Geschichte gelingen die Wahrnehmung weiblicher Lebenswelt, Weisheit, und Sexualität mit Gelassenheit und als eine Bereicherung seines eige-nen Lebens zu erfahren, als einen Schritt hin zur Emanzipation von Fremdbestim-mung hin zur Befreiung von „patidioti-scher” Verfügbarkeit, so wäre die Gele-genheit reif, den längst fälligen Hochver-rat am sklerotischen Herrschaftsmodell der männlichen Vertikale zu üben.

 

Die Fahnenflucht aus verhärteten männ-lichen und weiblichen Rollenmustern in ihrer eindimensionalen Konditioniertheit, führte vermutlich, um Bewusstseinsprozes-se anstoßen zu können, erst einmal über die öffentliche Selbstkretinisierung der Akteure, die unbedingt das System retten wollen. Dies ist ja bereits in Polit-Talkshows oder in öffentlichen Parlamentsdebatten schon zu beobachten.

 

Die „Dämlichkeit” des Herakles in Frauen-kleidern diente einst in alter Lesart, als Abschreckungskomödie für eine vom rechten Pfad abgekommenen Männlich-keit.

 

Die Symbolkraft des Antihelden Herakles könnte in heutiger Lesart, angesichts ei-ner zunehmenden ökonomistischen Mili-tarisierung der Lebenswelten, von nicht zu unterschätzender Vorbildkraft für jun-ger Männer sein. Für junge Männer, die nicht mehr gewillt sind ihre Jugend im Dienst neuer Weltordnungskriege der demokratischen Bombergemeinschaften, oder anderer zweifelhafter von Rache geleiteten Politik zu verschwenden.

 

Steffen Fischer

2003

 

Die ist die Geschichte von Herakles